„Schau mal, ist der nicht süüüß?“ Andrea hält mir unsere Dorfzeitung hin und zeigt mir zum wiederholten Male in den letzten Monaten eine Anzeige vom Tierschutzverein. Ich bewundere Menschen, die die Zeit aufbringen können, sich für in Not geratene Tiere einzusetzen, aber damit endet mein Interesse auch schon. Die Welt und vor allem ich haben andere Probleme. Trotzdem nehme ich das Blättchen in die Hand und betrachte das Foto. In dieser Ausgabe starrt eine weiße, kurzbeinige Presswurst mit riesigen Ohren von unten nach oben in die Kamera. Eine Mischung aus Dackel, Polarfuchs und Fledermaus. Zugegebenermaßen niedlich – wenn auch erst auf den dritten bis vierten Blick – aber was bitte soll ich mit einem Hund? Hunde knabbern alles an, sind im Gegensatz zu Katzen vollkommen ungeschickt, müssen bei Wind und Wetter andauernd vor die Tür, dekorieren die Wohnung nach eigenen Vorstellungen um – Youtube ist mein Zeuge – und obendrein riechen sie eben nach Hund und nicht nach Katze. Ich will keinen Hund, Ende der Durchsage!
Außerdem habe ich sogar regelrechte Angst vor Hunden. Mein letztes einschneidendes Erlebnis hatte ich vergangenes Jahr in den Rehbergen, als ich am frühen Morgen nichtsahnend auf meinem Bike zum Dienst radelte und mich unvermittelt in akuter Lebensgefahr befand. An meinem Schuh hing plötzlich ein gewaltiges Tier mit blutunterlaufenden Augen und den größten Zähnen, die ich je gesehen hatte. Einen kurzen, klaren Augenblick überlegte ich inmitten meiner Panik, wie ein Wolf in einen innerstädtischen Park kommt? Ich hatte ihn weder gesehen, noch kommen gehört. Demnach musste sich das Raubtier geschickt hinterrücks an mich, seine Beute, herangeschlichen haben, um mich nun zu erlegen. Nachdem mein Bein schon bis zum Knie im Hals der Bestie verschwunden war, fiel ich vom Rad und das Tier ließ unversehens von mir ab. Im Gras liegend beobachtete ich atemlos, wie es offensichtlich kleinere, leichter zu reißende Beute erblickt hatte. Also wohl erst ein kleines Appetithäppchen, bevor sich der Beutegreifer wieder mir, seinem Hauptgang zuwenden wollte.
Da standen beziehungsweise lagen wir nun. Ein Vater, schützend vor sein vor Angst weinendes Kind gestellt auf der einen Seite, ich am Boden liegend auf der anderen, umkreist von einem tollwütigen, zähnefletschenden, knurrenden und zu allem bereiten Raubtier. Sekunden dehnten sich gefühlt zu Stunden. Als die reißende Bestie endgültig zum tödlichen Sprung ansetzen will, ertönt aus dem Unterholz eine hohe weibliche Stimme: „Kommst du jetzt her, du dummer Hund?“ Und das Wunder geschieht, denn der Wolf dreht sich um, wedelt mit dem Schwanz und trippelt freudestrahlend auf eine Frau zu. „Entschuldigung, das ist ein Jack Russell Terrier. Die haben einen ausgeprägten Jagdtrieb!“ Sprach es und verschwand mit ihrem Vierbeiner wieder zwischen den Bäumen. Und ich soll mir einen Hund anschaffen?
Nun starre ich auf das Foto dieser Weißwurst mit Knopfaugen und diesen unglaublich riesigen Ohren. Naja, irgendwie niedlich, aber eben ein Hund. Ich kann mir nicht vorstellen, mein Leben mit einem Hund zu teilen. Mir reichen meine beiden Katzen. Bis vor Kurzem stand in Stein gemeißelt, dass uns nach diversen Katzen und Echsen kein Tier mehr ins Haus kommt. Endlich ungebunden, endlich in den Urlaub fahren, ohne sich vorher um die Versorgung seiner Tiere zu kümmern. Spontan sein, Tasche packen, Bikes ins Auto und losfahren. Nie mehr jemanden bitten, nach den Katzen zu schauen und aufzupassen, dass die Heuschrecken als Echsenfutter nicht aus dem Terrarium flüchten. Nie wieder um ein geliebtes Tier trauern müssen, weil es verstorben ist! Und nun soll hier die größtmögliche Bindung zwischen Mensch und Tier einziehen? Ein Hund? Nein! Niemals! Oder doch? Eigentlich sieht die Fledermaus ja ganz nett und zutraulich aus. Und dann muss ich plötzlich neben mir stehen, denn meinem offenbar anderen Ich entfahren die Worte: „Lass uns doch morgen vielleicht einfach mal den Hund anschauen.“ Der Anfang vom Ende!?