… ein kleines Bullterrier Fazit und eine Liebeserklärung

Vor vier Jahren war ein eigener Hund undenkbar. Ich hatte mit Depressionen zu kämpfen und jeder Tag, der auf den eigenen Füßen verbracht werden konnte, war ein Erfolg. Heute, während ich diese Zeilen schreibe, liegen Otti & Diesel hinter mir und schlafen den Schlaf der … Gerechten? Ich weiß nicht, ob Hunde gerecht sind oder fair, immer nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind oder ob sie überhaupt eine Vorstellung davon haben? Es ist mir auch egal, denn meine beiden Hunde sind da und es geht ihnen gut.

Zu Otti kam ich wie die Jungfrau Maria zum Kinde. Innerhalb von fünf Tagen war der Hund beim ahnungslosesten Halter aller Zeiten angekommen – bei mir. Ich hatte Angst vor Hunden, ich konnte die nicht einschätzen, obwohl ich bis dahin bis auf eine Ausnahme niemals eine schlechte Erfahrung gemacht hatte. Und plötzlich hüpfte hier ein fünf Monate alter Jagdterrier-Mix durch die Wohnung und forderte mich zum Spielen auf.

Aber genau dieses kleine Bündel quietschendem Fells setzte damals etwas in Bewegung, von dem ich keine Ahnung hatte, dass es überhaupt da war. Nicht nur, dass mich Otti jeden Tag vor neue Herausforderungen stellte und mich damit Schritt für Schritt in die Normalität zurückholte, Otti war der Grund, mich nun viel intensiver mit Hunden zu beschäftigen. Damals sehr zum Leidwesen der besten Hunde-Trainerin der nördlichen Halbkugel Joanna. Was muss ich diese Frau genervt haben? Aber ich bin immer noch da und ich nerve mit Sicherheit auch heute noch, doch unser Verhältnis ist jetzt ein anderes.

Joanna nahm mich an die Hand und brachte mir Dinge über Hunde bei, von denen zahlreiche langjährige Hundebesitzer noch immer träumen. Nicht nur, wie man Hunde führt, sondern auch deren Verhalten und Körpersprache konnte ich aus nächster Nähe kennenlernen, einfach weil ich bei der Ausbildung fremder Hunde auf dem Platz sitzen, zuhören und zusehen durfte. Dieses langsam angehäufte Wissen versuchte ich bei meinem Engagement im Tierschutzverein einzubringen.

Leider musste ich dort aber erfahren, dass zwischen „retten“ und vermitteln eines Hundes Welten liegen. Ich kann furchtbar schlecht mit Lügen umgehen, sage meistens zu schnell und ehrlich, was ich denke und so trennten sich unsere Wege nicht im Guten. Ich bin heute noch mehr der festen Überzeugung, dass ohne ausreichende Kenntnis kein Hund vermittelt werden dürfte. Dennoch sieht die Realität noch immer anders aus.

Ein Hund ist klasse, zwei Hunde sind großartig – wenn man die Zeit hat und sich intensiv mit denen beschäftigen kann. Und ich wollte mehr – mehr wissen, mehr lernen, mehr können. So reifte der Wunsch nach einem zweiten Hund langsam, aber kontinuierlich. Und wenn ich etwas im Tierschutz gelernt hatte, dann dass nicht jeder Hund zu jedem Halter passt. Aber seit ich als kleiner Pimpf das erste Mal einen Bullterrier gesehen hatte, sollte es auch ein Bullterrier werden – allen Horrorgeschichten um diese Rasse zum Trotz. Manchmal hört das Schicksal genau hin und erfüllt einen Wunsch.

Ich bekam über Joanna meinen Mini-Bulli. Ein Hund, der von einem polnischen Züchter verkauft wurde, dessen Halterin später aber schwer erkrankte, so dass der Hund zum Züchter zurückkam und nun auf jemanden wie mich wartete. Und dass der Hund genau auf mich wartete und dass die Vorsehung die Finger im Spiel hatte, zeigte sich bei der Namensfindung. Ich bekam am Mittwoch ein Foto vom Hund per Mail. Für mich sah der schneeweiße Bulli mit seiner breiten Brust aus wie der Schauspieler Vin Diesel, also beschloss ich – ohne den Bulli überhaupt zu kennen – diesen Diesel zu nennen.

Am Donnerstag erhielt ich einen Anruf von Joanna und alle Infos zum Hund. Und sollte ich noch Restzweifel gehabt haben, hier zeigte das Schicksal nicht mehr nur mit dem Finger, sondern packte mich an den Haaren am Hinterkopf und rammte meinen Schädel immer wieder mit Wucht auf die Tischplatte – „DAS ist DEIN Hund!!!“
Denn der Rufname dieses Hundes war seit je her Diesel!
Gesucht, gefunden, Freitag abgeholt.

Knapp Zweieinhalb Jahre sind seit diesem Tag vergangen. Ich wünschte ich könnte sagen, ich bereue keinen einzigen davon, aber das wäre gelogen. Nach zwei Wochen Bullterrier war ich nervlich am Ende, nach drei Wochen hätte ich den häuten können und nach vier Wochen bereute ich meine Entscheidung. Dieser Hund kostete mich Jahre meines Lebens und ich war ernsthaft am Überlegen, den zurück an den Züchter zu geben.

Aber der Bullterrier und ich lernten voneinander, langsam und Stück für Stück kamen wir uns näher. Als erstes lernte ich, dass ein Bulli eben kein Hund wie jeder andere ist, dass jede Art von Druck nur dafür sorgt, dass er in sich zusammenfällt. Ich hatte gelesen, dass Bullis sensibel sind, aber doch nicht so?

Also änderte ich etliches von dem, was ich bisher zu wissen glaubte. Ich machte beim Bulli so vieles anders, was ich über Hunde bisher gelernt hatte. Ich wurde bewusster in der Mimik, der Bulli wurde aufmerksam. Ich wurde still, der Bulli interessierte sich für mich. Ich redete wenig und leise, der Bulli verstand alles. Ich belohnte mit Körperkontakt, der Bulli genoss es. Ich arbeitete ohne Druck, dafür konsequent und mit Spaß, der Bulli bot sich mir an, etwas zu tun.

Dennoch dauerte es über ein Jahr, bis Diesel endgültig „angekommen“ war.  Mein Jagdterrier-Mix Otti brauchte dafür drei Tage. An jedem einzelnen Tag mit dem Bullterrier kam ein ganz kleines Mosaiksteinchen hinzu und setzte so das große Ganze zusammen. Und das ist noch heute so. Auch wenn wir uns jetzt schon so lange kennen, ist der gesuchte Blickkontakt unterwegs, das vorsichtige Anstupsen mit der Schnauze an der Wade beim Laufen oder das gemeinsame Kuscheln ein neues kleines Fädchen, was die Bindung zwischen uns zu einem immer stärkeren Band knüpft.

Diesel vertraut mir. Ich kann ihn heute ohne Leine durch eine Gruppe fremder Hunde führen, ohne dass er sich dabei unsicher fühlt. Ich kann ihn in einem Geschäft beim Einkaufen ablegen und er bleibt liegen. Ich gehe mit ihm in ein Altersheim und er genießt die Aufmerksamkeit der Menschen. Ich darf mit ihm auf Veranstaltungen der Hundeschule auftreten und er lässt sich nicht vom begeisterten Publikum ablenken. Er kümmert sich nicht um pöbelnde Hunde auf der anderen Straßenseite oder hinter Gartenzäunen. Wie schon Otti ist auch der Bullterrier der Hund, den ich immer haben wollte. Jeder der beiden auf seine eigene, unverwechselbare Art.

Otti ist noch immer der Hund, der bei unbekannten Menschen Distanz hält, Diesel liebt alle Menschen und lässt sich gerne streicheln. Diesel dreht sich vor Freude mit 360 Grad Sprüngen, wenn er sich wohl fühlt. Auf viele Menschen wirkt das so lange erschreckend, bis ich ihnen erklären kann, dass das die pure Bulli-Freude ist. Diesel bellt selten, viel lieber grunzt, schnarcht, brabbelt, singt, jault und seufzt er – nach Möglichkeit alles gleichzeitig. Er wird niemals ein Agility-Hund, aber er liebt es, auf der Wippe zu stehen und allen anderen Hunden zu zeigen, dass die Wippe vollkommen ungefährlich ist. Beim Spielen kann ich meine Hand zwischen seine kräftigen Kiefer stecken und er hält mit aller Vorsicht spielerisch daran fest.

Und dennoch ist und bleibt er ein Hund. Ein Hund, der mehr als alle anderen und ohne Rücksicht auf Verluste bis hin zur Selbstaufgabe Ressourcen verteidigt, wenn er den anderen Hund nicht richtig kennt. Ich habe noch niemals einen Hund im Streit so kompromisslos vorwärts gehen sehen wie einen Bullterrier. Das weiß ich, seit mich der Versuch des Streitschlichtens auf einem Auslaufplatz an der Nordsee um einen alten Fußball mal fast einen Finger gekostet hätte.
Merke: Greife niemals nach einem Streitobjekt, wenn ein Bullterrier darum zankt!
Und dennoch war der Moment, in dem Diesel bemerkte, dass er mich verletzt hatte, ein trotz der Schmerzen besonderer. In diesem einen kurzen Augenblick fiel der Bulli in sich zusammen und wich mir nicht mehr von der Seite. Ganz so als wolle er sich entschuldigen. Aber das ist wahrscheinlich nur eine sehr menschliche Interpretation seines Verhaltens.

Meine Hunde helfen mir täglich, mich zu kontrollieren und zu konzentrieren. Sind wir ohne Leine im Wald oder Feld unterwegs, passe ich auf. Ich passe auf meine Hunde auf und ich passe auf meine Umgebung auf. Ich rufe sie bei Kindern, Joggern und Radfahrern ins Fuß, ich leine sie bei angeleinten Hunden ebenfalls an oder führe sie ohne Kontaktaufnahme an denen vorbei. Ich telefoniere nicht, sondern ich genieße die Natur, egal ob Sonne oder Regen. Meine Hunde tun dies ja auch.
Leben im Hier und Jetzt.

In diesem Jahr bereite ich mich mit Diesel auf die Begleithundeprüfung vor. Seinen bei dieser Rasse nicht vom Gesetzgeber vorgeschriebenen, aber von mir gewünschten Wesenstest hat er schon vor langer Zeit bestanden. Ich will – und das ist ein Herzenswunsch – dass die Menschen auch in einem Bullterrier das sehen, was er ist: Ein Hund. Zwar nicht wie jeder andere und auf seine eigene Art und Weise speziell, aber dennoch ein liebenswerter und vor allem freundlicher Hund.

Ich durfte inzwischen viele Miniatur Bullterrier kennenlernen. Jeder dieser Hunde ist ein Unikat, auch wenn sich Verhaltensweisen und Körpersprache bei allen ähneln. Deren Halter sind wie ihre Hunde besondere Menschen, jeder für sich. Aber alle haben etwas gemeinsam: Ihre Liebe zu einem Bullterrier, einer Rasse, die aufgrund ihres markanten Äußeren auffällt und dennoch verkannt wird, wie kaum eine andere. Wie sagte es letztens jemand auf dem Hundeplatz:
„Bei einem Bullterrier gibt es nur Schwarz oder Weiß, es gibt kein Grau. Man liebt sie oder man hasst sie, dazwischen gibt es nichts.“

Unsere Hundetrainerin Birgit nennt mich inzwischen ihren „Bulli-Flüsterer“. Vielleicht ist da ja was dran? Vielleicht braucht es für ungewöhnliche Hunde auch ebensolche Menschen?
Vielleicht ticke ich aber auch einfach anders als andere? Wer weiß das schon?

7 Gedanken zu „… ein kleines Bullterrier Fazit und eine Liebeserklärung“

  1. Das ist schon krass, obwohl man sich nicht kennt, jemals begegnet ist oder irgendwas über den anderen oder seinen Bulli weiß, könnte ich deine Geschichte fast zu 100 Prozent genau so aufgeschrieben haben….Natürlich haben wir eine andere Vorgeschichte, genauso wie die Hunde, jedoch sind die parallelen im täglichen Zusammenleben erschreckend ähnlich.
    Danke

    1. Danke für deine Worte 🙂
      Ich denke, dass viele Bulli-Halter gleiche oder ähnliche Erfahrungen machen, weil eben ein Bulli ein Bulli ist. Und ich möchte einfach, dass Menschen nachdenken, bevor sie sich einen Bulli ins Haus holen. Der ach so lustige Clown ist das eine, aber man muss den Clown auch wieder in die Kiste bekommen. Schafft man das nicht, hat man eben einen total überdrehten Kampfzwerg, der stets und ständig auf 100% Leistung läuft.
      Genieß die Zeit mit deinem Hund 🙂

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